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Internetmagazin für Ruppichteroth und den Rhein-Sieg-Kreis

Wie wir das Unglück erlebten

Von Nicolas Ottersbach | | Blaulicht

Daniel Prior, Phillipp Kronenberg und J.-Nicolas Ottersbach von www.broeltal.de standen nur wenige Meter vom Unglück auf der Loveparade entfernt. Sie schildern ihren ganz persönlichen Eindruck von dem tragischen Zwischenfall, der 21 Tote und über 500 Verletzte forderte.

Der Samstagsausflug zur Loveparade entwickelte sich zur Katastrophe. Erst wollten wir zu Dritt mit der Bahn anreisen, befürchteten Staus vor allem in Duisburg. Dann fiel die Entscheidung doch für das Auto. "Lieber im Stau stehen, als in überfüllten Zügen nach Hause zu fahren", dachten wir uns. Erstaunlich gut kamen wir durch den Verkehr. Es gab keinen Stau, wir konnten nur wenige hundert Meter von der Loveparade in einer Nebenstraße parken.

14:00 Uhr: Zu unserem großem Erstaunen gibt es Einlasskontrollen. Hier geht es erstmal nicht weiter, tausende Menschen werden nacheinander in den Zugang zur Loveparade gelassen. Jeder muss die Taschen öffnen, damit die Sicherheitskräfte des Veranstalters nach Glasflaschen suchen können. Die sind auf dem Gelände verboten. Dieser Checkpoint sollte später von den heranströmenden Menschenmassen überrannt werden. Als wir an der Reihe sind, verstehen wir auch wie es zu diesem gewaltigen Rückstau kommen konnte: Tausende von Menschen zwängen sich immer einzeln durch Drehkreuzartige Zugänge.

14:45 Uhr: Wir sind durch. Vor uns liegt der Tunnel. Über hundert Meter lang, mit Unterbrechungen. Rund 60 Meter das längste Stück. Es ist viel los, aber ohne Gedrängel gelangen wir zur Rampe, dem Zugang zum Festivalgelände. Darüber, wo denn eigentlich der Ausgang sei, machen wir uns keine Gedanken.

14:55 Uhr: Auf dem Gelände machen wir erste Bilder von den tanzenden Massen. Links und rechts befinden sich Bauzäune an den Hängen. Wir fragen einen Polizisten, ob wir kurz ein paar Bilder hinter der Absperrung machen können. Er lässt uns durch. Am Hang schreien uns Sicherheitskräfte des Veranstalters an: "Verlassen Sie sofort den abgesperrten Bereich!"Noch einmal auf den Auslöser gedrückt, dann der Aufforderung Folge geleistet.

16:00 Uhr: Die Loveparade ist in vollem Gange. Mal fotografieren wir von einer kleinen Anhöhe aus, dann wagen wir uns ins Getümmel. Auf der Anhöhe ist das Gedränge erstaunlicherweise größer, als in der Masse direkt vor den Wagen. Die Zäune an den Hängen sind von den Besuchern schon längst eingerissen worden, um sich Platz zu verschaffen.

16:30 Uhr: "Wir sollten früh genug gehen, damit wir nicht im Stau stecken", sage ich. Dann machen wir doch noch ein paar Schnappschüsse. Schnappschüsse, die uns das Leben retteten. Sonst wären wir vielleicht in das Gedränge geraten.

16:40 Uhr: "Wo ist der Ausgang?" Wir gehen zurück zum Eingang. Auf der Rampe kommen wir nicht weiter, wie hunderte andere Menschen, die die Loverparade verlassen wollen. Erst versuchen wir uns durchzudrängeln, dann warten wir. Von einer Massenpanik sehen wir nichts. Erst klettern die Menschen links an den Leuchtmasten hoch, dann besteigen sie den Container in der Mitte. Die Absperrung zur Treppe wird als letztes durchbrochen. Die Sicherheitskräfte des Veranstalters schleppen bewusstlose und geschockte Menschen die Stufen hoch. Auch die Polizei packt mit an. An den Masten reichen sie den Kletternden ihre Hände. Keiner wusste, was los ist. "Ich will da jetzt auch hoch", ruft ein Mann und schubst sich durch die Menge.

17:00 Uhr: Die Polizisten zeigen mit den Händen, dass die Menschenmenge die Stelle an der Treppe verlassen soll. Links stehen Beamte an ihren Autos und beruhigen die Menschen. "Es gibt keinen Ausgang. Bleiben sie hier, das ist am sichersten", sagt eine Polizistin auf meine Frage, wie wir denn nun hier weg kommen. Wir gehen wieder an den Hang, von dem wir schon zu Anfang aus Fotos gemacht haben. Erste Zweifel über die Organisationsfähigkeiten des Veranstalters werden laut. "Vorne müsste sich nur jemand mit einem Megafon hinstellen, dann wäre einiges einfacher."

17:05 Uhr: Chaos. Von weitem können wir erst das Ausmaß erkennen. Von links und rechts aus dem Tunnel strömen die Menschen. Auf das Gelände kommen sie aber nicht, weil auch Besucher durch diesen einzigen Aus- und Eingang nach Hause wollen. Am Ende der Rampe bilden die Polizisten eine Kette und sperren den Weg, damit nicht noch mehr Menschen zum Tunnel gehen können. Jetzt rennen immer mehr Personen die Hänge hoch, sie wollen aus dem Kessel flüchten. Man reicht sich die Hände und hilft sich gegenseitig. Auch die Sicherheitskräfte des Veranstalters stützen die Flüchtenden. Mancher spricht von Toten im Tunnel, eine Aussage die man erstmal nicht ernst nimmt. Genaueres weiß keiner.

17:20 Uhr: Wir wollen weg. Durch die immer noch feiernde Menge zwängen wir uns auf die andere Seite. Dort sind die Notausgänge. Ein Polizist gab uns den Tipp. Zwischendurch machen wir weitere Bilder von der Veranstaltung. Das Gefühl einer Panik gibt es nicht.

17:35 Uhr: Notausgang gefunden. An einer Unterbrechung des Tunnels haben Beamte eine Kette gebildet, um die Menschen am steilen Hang kontrolliert herunterzulassen. Zwei Polizisten helfen beim Abstieg. Dann stehen wir im Tunnel.

17:40 Uhr: So stellen wir uns Krieg vor, oder einen Terroranschlag. Dutzende Rettungswagen fahren. Sanitäter rennen mit Tragen Richtung Rampe. Aus dem Tunnel strömen Menschen. Polizisten räumen mit ganzem Körpereinsatz und Geschrei den Weg frei, als die Retter eine schwerverletzte Frau mit einer Trage wegschieben. Jetzt wissen wir, hier muss etwas Schlimmes passiert sein. Menschen mit zerfetzter Kleidung sitzen am Straßenrand. Voller Dreck. "Ich lag unter Menschen. Ich bekam nur Luft weil ich mit meinen Händen einen Hohlraum zwischen Asphalt und Gesicht bildete", erzählt uns ein junger Mann aus Holland. Ein Sanitäter beruhigt ein Mädchen, das auf dem Bordstein sitzt. Ein Besucher stützt einen anderen, der mittendrin war. Er weint bitterlich, weiß nicht, wo er ist, wer er ist. Völlige Orientierungslosigkeit.

18:00 Uhr: Wir sind vom Gelände runter. An einer Kreuzung der Straße, die durch die Tunnel führt, haben Polizei, Rettungsdienst, THW und Feuerwehr ein Lager aufgebaut, an der Straße stehen unzählige Autos von Einsatzkräften aus dem gesamten Ruhrgebiet. Immer mehr Rettungskräfte kommen uns auf dem Weg zum Auto entgegen.

Kommentare

  • Dirk Müller
    July 29, 2010 um 10:56 am

    Sehr interessant - da bekommt man schon eine Gänsehaut! Ich habe auch mit vielen Kollegen gesprochen, die dort direkt vor Ort waren und noch immer völlig geschockt sind. Zum ersten Kommentar fällt mir nichts mehr ein - Frage: Wenn jemand von Euch verletzt worden wäre, hättet Ihr dann darüber berichten dürfen oder wäre das auch überregional?

  • Udo Herrmann
    July 28, 2010 um 11:06 pm

    Hallo zusammen,

     

    soweit ist Duisburg gar nicht von uns entfernt. Wenn man betrachtet, das Rettungseinheiten aus dem Rhein-Sieg-Kreis, hier vor allem von den Hilfsorganisationen, zu dieser Schadenslage gerufen worden sind um adäquate Hilfe zu leisten, sieht man mal, wie eng wir alle zusammen leben. Im Zeitalter von Internet und anderen medialen Informationssystemen wie Twitter, Facebook, wkw, etc. sehe ich eine schnelle und vor allem kompetente Information an unsere Bürger als unbedingt notwendig an.

     

    Respekt den Dreien, dass diese in dem ganzen Stress, auch hier eine absolut einwandfreie Information an unsere Bürger überbringen konnten. Ein Vergleich mit der Bildzeitung ist unpassend und vor allem nicht als kompetente Aussage zu werten. Ich denke, hier geht es weniger um Quoten, sondern um einen Informationsbericht, den alle drei Beteiligten erlebt haben. Gestorben wir wohl immer, dies ist zweifelsfrei so, aber dieser Bericht verfällt in keinster Weise in einem Blutrausch.

     

    Es ist unfair, diesen Leuten so etwas zu unterstellen. Ich halte den Bericht für sehr informativ und journalistisch einwandfrei. Ich kann dazu nur sagen: Macht weiter so !!!!!!!!!! Lasst euch von unqualifizierten Aussagen nicht von eurem Weg abbringen.

     

    Gruß

  • Renate Flöck
    July 28, 2010 um 8:28 pm

    Ich habe Sonntag morgen sofort bei Christina Ottersbach angerufen und nachgefragt, ob Nicolas zuhause wäre. Man kennt sich und macht sich da Gedanken, wenn man im Fernseher so schreckliche Bilder zu sehen bekommt. Ich war froh, als sie mir bestätigte, daß er da ist. So was kann man ruhig hier berichten, da darf keiner was dagegen haben. Ich finde es schlimmer, mir in den Nachrichten und Zeitschriften die Kacke von Lothar Matthäus ansehen oder lesen zu müssen. Ich bin jedenfalls froh, daß den Jungs nichts passiert ist. Bei der Bürgermeisterwahl hat hier oft was drin gestanden, was mich als Bürger nicht interessiert hat. Also bitte nicht so kleinlich sein.

  • Inge Steimel
    July 28, 2010 um 11:27 am

    Bin ich froh, dass ihr gut wieder gekommen seid - zumindest körperlich, denn wie ich euch kenne, stecken euch solche Eindrücke noch länger in den Knochen. Lasst euch von keinem drein reden, was ihr schreibt. Wer ´s nicht lesen will, soll weiterblättern - aber Gier nach Sensationen steckt in manchem Menschen viel mehr, als er nach außen hin zugeben würde!

  • Wolfgang Steimel
    July 28, 2010 um 8:25 am

    Ein Tip an Achim: Wenn ich morgens meine Tageszeitung aufschlage, dann lese ich auch nur dass, was mich interessiert.

     

    Ich denke, ein Journalist sollte sich nicht von Lesermeinung verbiegen lassen, letztlich auch weiterhin selbst bestimmen,woran er sich zu halten hat. Broeltal.de: Macht weiter so.

  • Waltraud Sülzner
    July 27, 2010 um 2:01 pm

    an Achim:

    Wenn es dir zu sehr nach "Bild" aussieht, hättest du ja nicht bis ans bittere Ende lesen müssen.

    Bin froh, dass die Drei heil zurück gekommen sind und überhaupt noch schreiben können.

    Liebe Grüße an Alle

    Waltraud

  • Florian
    July 27, 2010 um 12:48 pm

    Mittlerweile ist die Zahl der Todesopfer von "19" auf "20" angestiegen -.- Krass!

  • Regina Breuch
    July 27, 2010 um 8:51 am

    Überregional betroffen kann man nur aus der Ferne sein. Wenn man, wie die 3 Jungs, vor Ort war um zu feiern und zu tanzen, und wenn dann das Ganze in Horror umschlägt, dann ist man sicherlich persönlich betroffen. Es ist sicherlich auch eine Form des Verarbeitens, sich das Geschehen von der Seele schreiben zu können und sich Anderen mitzuteilen. Und Parallelen zu einer Sensationspresse zu ziehen ist unfair und absolut unangebracht. Hier waren die Jungs zufällig an Ort und Stelle um Spaß zu haben und wurden nicht erst hin beordert wie andere Reporter um die Schreckensszenrien aufzunehmen.

  • Achim Seuthe
    July 26, 2010 um 9:27 pm

    Super !!!

    eure Berichterstattung, aus euch wird noch was. Bilder und Text sind noch nicht ganz auf dem Niveau der "Wild" Zeitung, aber man erkennt wohin der Zug fährt. Broeltal.de hat sich an regionale Dinge zu halten, sollte aber nicht im "Blutrausch" der sonstigen Presse mit das große Hallali blasen. Traurig was da passiert ist, aber Leute!, gestorben wird immer, sterben ist immer modern, nur man muss nicht damit seine Quote verbessern. Broeltal.de braucht keinen Horror von wo auch immer. Laßt uns betroffen sein, aber bitte überregional.

    Gruß Achim

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