Zwischen dem Mittellauf der Sieg und dem Brölbach, einem ihrer nördlichen Zuflüsse, liegt eingebettet im sanft gewellten Hügelland des Nutscheid die Ortschaft Schönenberg. Nicht weit von „Ruppig der Roth“ entfernt, ist sie Hauptort eines Kirchspiels, das einst zehn Dörfer umfasste. Was sich hier alljährlich zwischen der Mainacht und dem Pfingstfest abspielt, ist mehr als ein Volksfest – es ist ein tief verwurzelter Brauch, der das Dorf in einen festlichen Ausnahmezustand versetzt. Der Volkskundler Gabriel Simons hat diese lebendige Tradition 1980 in einer Video-Dokumentation für den Landschaftsverband Rheinland festgehalten und eindrucksvoll beschrieben. Fotos: LVR-Dokumentation über das Pfingsteiersingen [LVR/Gabriel Simons]
Jetzt hat der LVR sie noch einmal auf Youtube veröffentlicht. Kurz bevor das Pfingsteiersingen in Schönenberg wieder stattfindert. Wer mitmachen will, kann am Pfingstsamstag zum Startpunkt kommen: Um 17 Uhr am Etzenbacher Weg 10, bei Markus Klein, dem Vorsitzenden des Bürgervereins Schönenberg. Hier gibt es eine kleine Stärkung vom Grill, samt Gerstensaft sowie die ersten Gesangsproben, bevor es losgeht.
Maibaumwache als Frühjahrsfest
Die Dokumentation beginnt mit einem Blick auf den Kirchberg. Im Mittelpunkt steht der Maibaum, ein zwölf Meter hoher Fichtenstamm, geschmückt mit einer Birkenkrone an der Spitze. In seiner Mitte hängt auf einem Stuhl der „Paias“, eine Figur, die symbolisch für das Frühjahrsfest steht. „Unter der Birkenkrone an der Spitze des zwölf Meter langen Fichtenstamms ist in halber Höhe der Paias […] als Wahrzeichen des Frühjahrsfestes aufgehängt“, erklärt Simons. Der Baum wird bis weit in den Juni hinein auf dem Kirchberg aufgestellt und ist weithin sichtbar. Bewacht wird er von der „Bachhütte“, einem eigens errichteten Schutzposten, denn das Symbol des Festes ist begehrtes Ziel benachbarter Dörfer. Wird der Paias entwendet, muss er mit Bier ausgelöst werden, bevor das Frühlingsfest in gebührender Form gefeiert werden darf. So entsteht ein spielerischer Wettstreit, der die Dörfer miteinander verbindet.
Frauen wurden bis in die 1950er Jahre versteigert
Bis Pfingsten zieht sich das Maifest mit zahlreichen Tanzveranstaltungen in den Kirchspielorten hin. Historisch eng verknüpft mit diesen Festen war die sogenannte Mädchenversteigerung. Die „Maijungen“, das waren die Junggesellen ab 18 Jahren, ersteigerten im Vorfeld ihre „Maibräute“. Mit diesem symbolischen Akt übernahmen sie die Pflicht, ihre Tanzpartnerinnen nicht nur zum Ball zu begleiten, sondern auch bei den Vorbereitungen zu betreuen. „Mit dem Pfingstgruß erloschen die bindenden Verpflichtungen zwischen Maibraut und Maibräutigern, die man bei der Mädchenversteigerung vor dem Frühlingsfest übernommen hatte“, berichtet Simons. Die Versteigerung wurde in Schönenberg in den frühen 1950er Jahren zum letzten Mal durchgeführt, ebenso löste sich in dieser Zeit die Junggesellengemeinschaft auf, die bis dahin für die Organisation des Frühlingsfestes zuständig war.
Start an der Linde
Doch das Herzstück des Brauchtums lebt weiter – das Pfingsteiersingen. Am Vorabend des Pfingstsonntags ziehen Mitglieder des Schönenberger Bürgervereins in Gruppen durch den Ort und bringen vor jedem Haus ein musikalisches Ständchen dar. Der Startpunkt ist die alte Gaststätte Linde an der Brölstraße. Die Lieder, begleitet vom Akkordeon, gehören zum lokalen Kulturgut. In der ersten Strophe des traditionellen Heischeliedes heißt es augenzwinkernd: „Gebt uns doch ein Pfingstei, Dreie sind uns lieber als zwei.“ Die Bewohner revanchieren sich mit rohen Eiern, Schnaps oder kleinen Geldspenden. „Wenn die ungekochten Eier entgegengenommen sind, wird der Spenderin aus der mitgeführten Flasche ein Gläschen voll kredenz“, schildert Simons die Szene.
Schümer Junge unterwegs
Der Weg führt vom unteren Ortsteil entlang der Brölbachstraße bis hinauf ins Oberdorf am Kirchberg. Vor dem Gasthof Berghof, wo statt Eiern ein „Umtrink“ erwartet wird, wird ein erster Halt eingelegt. Die Umzüge dauern oft bis Mitternacht, denn kein Haus darf ausgelassen werden – selbst wenn die Nachbarn das Ständchen schon mithören konnten. „Beim Pfingsteiersingen ist man darauf bedacht, sämtliche Bürger des Ortes einzuschließen, auch die Neuzugezogenen“, betont Simons. Und das zeigt, wie sehr sich die Tradition gewandelt hat: Von einer junggesellenzentrierten Brauchform hin zu einem gemeinschaftsstiftenden Ritual für das ganze Dorf. Zu sehen sind viele Schümer Junge: Rolf Hänscheid, Peter Könsgen, Heinz Schumacher, Jörg Stommel und Manni Haas, aber auch schon verstrorbene Urgesteine wie Hubert Müller und Hans Arnold Schmidt.
Ortsverschönerung und Denkmalpflege
Während in früheren Jahren die Beteiligten oft am Pfingstmorgen mitsamt Eierkorb im Straßengraben schlummerten – „Früher soll es vorgekommen sein, dass die Kirchgänger am Morgen des Pfingsttages manchen Sänger im Straßengraben neben dem Eierkorb schlafend vorfanden“ –, werden die heute gesammelten Eier mit Bedacht verwendet. Ein Teil dient dem gemeinsamen Mahl, der Großteil wird jedoch verkauft. „Den größten Teil der Eier will man […] an Lebensmittelgeschäfte verkaufen, um mit dem Erlös die Vereinskasse aufzubessern“, erläutert Simons. Der Bürgerverein finanziert daraus nicht nur das traditionelle Eieressen nach Pfingsten, sondern auch Projekte zur Ortsverschönerung, Denkmalpflege und zum Naturschutz.
Neuerfindung durch den Bürgerverein
Die einst so festgelegten Rollen von Maijungen und Maibräuten haben sich aufgelöst. „Anstelle des ursprünglichen Sinnes, der durch die besondere Beziehung zwischen den jungen Männern und den jungen Frauen bestimmt war, ist nun der allgemeine Zusammenhalt der Ortsgemeinschaft stärker in den Vordergrund gerückt“, fasst Simons treffend zusammen. Das Pfingsteiersingen wurde vom Bürgerverein neu ausgerichtet und zugleich bewahrt – als gelebte Kultur, in der das ganze Dorf eine Stimme hat. So schallt es an Pfingsten durch Schönenbergs Gassen: „Hier stehen die Schönenberger Jungen, die haben das Lied gesungen.“ Und mit diesem Lied, dem Eierkorb in der Hand und einem Augenzwinkern auf den Lippen, lebt ein Stück rheinischer Kultur, das über Generationen hinweg weitergetragen wird.
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