Normalerweise sind Polizeiberichte trocken und nüchtern. Christoph Gilles, Pressesprecher der Kölner Polizei, hat sich da mal richtig ausgetobt: Wie ein Roman liest sich das Missgeschick eines ungarischen Fernfahrers, der sich am 3. März in Ehrenfeld verfranzte. Deshalb gibt es die Geschichte nun in voller Länge. Fotos: Polizei Köln
"Köln - Man zählt ihn zu den "Königen der Landstraße". Wohl kaum eine Asphaltpiste, die er noch nicht unter dem Reifen hatte. Der Mann am Volant weiß, wie man unfallfrei Hunderttausende Fahrkilometer quer über den Kontinent abreißt. Er ist Fernfahrer. Und er schlenzt 30-Tonnen-Brummer durch unübersehbare Blechlawinen locker und souverän wie kaum ein anderer dessen Kleinwagen durch die heimische Wohnstraße. Ein Sohn der Puszta, der sich in der Gluthitze andalusischer Küstenstraßen ebenso zuhause fühlt wie auf vereisten Fahrbahnen in Skandinavien.
Doch es kam der Tag, an dem auch György S. (35) an seine fahrtechnischen Grenzen stieß. Nicht in den Banlieues von Paris oder denen von Marseille. Ebenso wenig in den chaotischen Straßenschluchten von Neapel oder Kopenhagen. Über die lacht er nur. Nein. Endgültig geschlagen geben musste sich György letztlich in Ehrenfeld. Köln-Ehrenfeld.
Es begab sich am Dienstagabend (3. März) gegen 21.45 Uhr in dem urwüchsigen Ortsteil im Kölner Westen. Auf dem Ehrenfeldgürtel ist der 35-Jährige am Steuer eines MAN-36-Tonners mit niederländischer Zulassung unterwegs. Fahrtrichtung Norden. Der Sattelzug nähert sich der Bundesbahnunterführung an der Stammstraße. Da stutzt György - wird er mit dem hohen Auflieger in der Oberleitung hängenbleiben? Der erfahrene Berufskraftfahrer entscheidet sich anders: Er weicht nach rechts aus und lenkt seinen Schwerlasttransporter in die Stammstraße. Und folgt dann seinem Navi. Was der Ungar nicht wissen kann: Legionen von ortsunkundigen Fahrzeugführern haben sich im engen Einbahnstraßengewirr von Alt-Ehrenfeld bereits hoffnungslos verfranzt.
Doch bis zuletzt rechtfertigt György das Vertrauen der holländischen Spediteure in seine Fahrkünste. Umsichtig lenkt er den schweren TGA unfallfrei durch engste Ehrenfelder Wohnbebauung. Seine Irrfahrt endet schlussendlich an der Kreuzung Stammstraße / Körnerstraße. Dort wird der Verkehr durch im Kreuzungsbereich befestigte Pöller nach rechts geführt. Und dem kann der beachtliche Kurvenradius eines Sattelzugs unweigerlich nicht gerecht werden.
Auch hinzugerufenen Polizisten gelang es demzufolge nicht mehr, das festgefahrene Riesengefährt aus der Engstelle zu lotsen. Man behalf sich nun, indem der Sattelauflieger abgekoppelt wurde. Von Polizeikräften geführt, setzte der 35-Jährige seine Zugmaschine durch mehrere Straßen um. Währenddessen flexten Feuerwehrkräfte vier Pöller ab, so dass György letztlich über die Stammstraße rückwärts mit der Zugmaschine wieder an den Auflieger rangieren konnte.
Im Schritttempo und unter Polizei- und Feuerwehreskorte rollte der 36-Tonner dann geradeaus über die Stammstraße und gelangte über die Everhardstraße auf die Subbelrather Straße. Um drohende Fremdschäden zu vermeiden, unterbrachen drei hierzu höflich gebetene Anwohner ihre wohlverdiente Nachtruhe, um ihre geparkten Pkw kurzfristig wegzufahren. Aus dem gleichen Grunde mussten bei nahezu allen am Fahrbahnrand stehenden Autos die zur Straße gewandten Außenspiegel eingeklappt werden. An einer Engstelle zog die Feuerwehr zeitweise sogar in Erwägung, einen Baum abzusägen. Infolge zentimetergenauer Rangierarbeit konnte eine solche Beeinträchtigung des Ehrenfelder Straßengrüns jedoch vermieden werden. Solchermaßen gelangte der Transporter letzten Endes doch glücklich zu seinem Bestimmungsort in der Oskar-Jäger-Straße. Das aufwändige, gut dreistündige Geschehen lief "unter größter Anteilnahme" der ortsansässigen Bevölkerung und entsprechend multilingualen Kommentaren und fachkundigen Tipps ab.
Und so endete inmitten der Nacht ein Tag, an dem die "große weite Welt" unfreiwillig im tiefsten Ehrenfeld zu Gast war - und György, der Fernfahrer aus Ungarn, in seine Schranken gewiesen wurde."
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