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Shanmugarajah Senthan flüchtete vor 30 Jahren nach Deutschland

„Wer wählen geht, verteidigt die Demokratie. Denn er sorgt dafür, dass niemand alleine bestimmen kann"

Von Nicolas Ottersbach | | Wirtschaft/Politik

Unter den Augen von Willy Brandt und Helmut Schmidt hat sich Shanmugarajah Senthan an den rechteckigen weißen Tisch gesetzt, an dem sonst seine Genossen über die Lokalpolitik diskutieren. Das SPD-Bürgerbüro ist nicht gerade üppig ausgestattet, aber es gibt zahlreiche Devotionalien: Rosen, Wahlplakate, Kugelschreiber. „Ich war immer Sozialdemokrat“, sagt er. Deshalb sei das auch ein guter Ort, um über sein Leben und die Bundestagswahl zu sprechen. Foto: Für das Foto hat sich Shanmugarajah Senthan ein Ortsschild bei der Gemeinde Ruppichteroth ausgeliehen. Hier fühlt er sich zu Hause. [Nicolas Ottersbach]

Gelernt, was Demokratie ist, hat er erst, als er vor rund 30 Jahren nach Deutschland flüchtete. Heute engagiert er sich in Ruppichteroth. Angesichts der Debatten, die gerade herrschen, macht er sich Sorgen um das Land, das seine Heimat geworden ist. „Ich sehe, dass unsere Gesellschaft immer mehr gespalten wird“, erzählt er. Und dass sich, gerade jetzt zur Bundestagswahl, alles um Migration dreht, obwohl es noch viele andere wichtige Themen gibt.

Ein Leben in Unterdrückung

In seinem Geburtsland Sri Lanka war der 51-Jährige Freiheitskämpfer, wie er erzählt. Ab 1983 eskalierte der Konflikt zwischen der sri-lankischen Regierung und der separatistischen Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE), die einen unabhängigen Staat für die tamilische Minderheit im Norden und Osten der Insel forderte. Es gab Tausende Tote, vor allem unter Zivilisten. Ganze Städte wurden zerstört.

Senthan gehörte der Minderheit der Tamilen an. Für seine Eltern, seinen Bruder, seine Schwester und auch die anderen Verwandten bedeutete das tägliche Unterdrückung. Er sah, wie sein Bruder erschossen wurde. „Ich unterstützte als Jugendlicher die Separatisten als Sanitäter“, erzählt er. Bis er selbst verwundet wurde und von der Insel gebracht wurde, weil er so keine Hilfe mehr für die Armee war. Er musste alles zurücklassen. „Deshalb habe ich heute auch nur ein Bild von meiner Kindheit.“

Über Indien und Moskau nach Frankfurt

Als er wieder genesen war, machte er in Indien eine Ausbildung zum Fotografen. Doch auch dort wurde die Luft dünner. „Die Regierung verschärfte das Asylrecht, und ich durfte nicht mehr arbeiten.“ Über Bekannte bekam er Kontakt zu Schleusern. „Ich wusste nicht, wohin es geht“, erzählt Senthan über diese Zeit. Aber für ihn war klar, dass er das Land verlassen musste. Erst ging es nach Moskau, dann nach Frankfurt. „Der Mann, der mich begleitet hat, hat mir eine Jacke gegeben und gesagt, dass es kalt wird, wo wir hinfliegen. Den Pass hat er mir abgenommen.“ Und so stand er 1995 mit nichts außer dem, was er trug, in einem Land, dessen Sprache er nicht kannte.

Der Bundesgrenzschutz, wie die Bundespolizei früher hieß, schickte ihn zu den Maltesern, die ihm etwas zu essen gaben. Ein Dolmetscher half ihm, Asyl zu beantragen. In den nächsten Monaten ging es von Frankfurt-Stolberg nach Hamm in Westfalen und schließlich nach Werne an der Lippe. Mit fünf anderen teilte er sich im Asylheim sein Zimmer – eine Zeit, in der ihm die Decke auf den Kopf fiel. Bis er arbeiten durfte, als Reinigungskraft und Hausmeister. „Das fand ich gut, weil ich mich vorher nur gelangweilt habe. Als ich unter Menschen war, konnte ich meine Sprachkenntnisse verbessern.“ Integrationskurse gab es damals noch nicht. „Die Betreuung ist seit 2015 in Deutschland viel besser geworden.“

„Deutsch habe ich durch das Fernsehen gelernt, im KiKA"

Nach Bonn kam er, weil McDonald’s damals als eines der ersten Unternehmen auch Asylbewerber wie ihn einstellte. „Weil ich noch nicht viel Deutsch sprach, habe ich erst die Nachtschichten als Reinigungskraft gemacht“, erzählt Senthan. Mit der Zeit wurde er aber immer sicherer und konnte sich besser unterhalten, er wechselte in die Tagschicht. „Deutsch habe ich durch das Fernsehen gelernt, im KiKA. Bis heute habe ich nie einen deutschen Sprachkurs besucht.“

In der Fast-Food-Kette begann er, sich politisch und sozial zu engagieren. Damals gründete er dort einen der ersten Betriebsräte, was ihn letztlich den Job kostete, wie er erzählt. Einen neuen Job fand er in einer Bäckerei in Bergisch Gladbach, später in Troisdorf, wo er als Montagehelfer anfing. Dort ist er auch heute noch – und hat sich zum Betriebsleiter hochgearbeitet.

„In Sri Lanka sagt man, das Herz liegt in den Dörfern.“

In der Stadt fühlte er sich nie zu Hause. „In Sri Lanka sagt man, das Herz liegt in den Dörfern.“ Und so kam er nach Ruppichteroth, gründete eine Familie und baute ein Haus. Hier sitzt er auch seit vielen Jahren für die SPD im Gemeinderat.

Die aktuelle Stimmung im Land macht ihn nachdenklich. „Wenn sich die Migrationspolitik so verändert, wie es die AfD fordert, hätte Deutschland nie zu meiner Heimat werden können, hätte ich nie die Chance gehabt, mir hier etwas aufzubauen“, sagt er. Der generelle Rechtsruck sorgt Senthan. „Mir macht das Angst. Wer nach Deutschland flüchtet, um sich etwas aufzubauen, muss dann wieder alles zurücklassen und erneut fliehen.“

Meinungsfreiheit sei ein hohes Gut

Er hat das Gefühl, dass sich die Gesellschaft immer weiter spaltet. „Nur weil jemand eine andere Meinung hat, muss man ihn nicht in eine Ecke drängen. Stattdessen sollte man auf ihn zugehen und miteinander sprechen. Aber Hass ist keine Meinung.“ Die Meinungsfreiheit sei ein hohes Gut, eine gute Meinungsbildung aber genauso wichtig. „Vielen fehlt es auch an Aufklärung.“ Dafür nennt er ein Beispiel, das er zuletzt erlebt hat: Jemand, der jeden Tag zur Arbeit über die Brölstraße fährt, beschwerte sich darüber, dass Asylbewerber morgens immer an der Bushaltestelle stehen und nicht arbeiten würden. „Es kann aber genauso sein, dass sie auf den Bus warten, um zur Schule oder zur Arbeit zu fahren. Aber das versteht man durch die Momentaufnahme nicht.“

Nicht nur, weil Senthan im Gemeinderat sitzt, steht er dafür ein, wählen zu gehen. „Wer wählen geht, verteidigt die Demokratie. Denn er sorgt dafür, dass niemand alleine über etwas bestimmen kann, sondern alle zusammen.“

Kommentare

  • Markus Fein
    February 23, 2025 um 11:23 pm

    ... Mal ganz abgesehen von den Hochrechnungen bzw. dem Endgültigem Wahlergebnis ... Ein grosses Dankeschön an alle Ehrenamtlichen Wahlhelfer die sich heute für einen ordnungsgemäßen Wahlablauf gekümmert haben.

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