Der Missbrauchsvorwurf an den langjährigen Pfarrer Waldemar W., der sich daraufhin das Leben nahm, schockt die Gläubigen in Ruppichteroth. Viele haben sich in den vergangenen Tagen an den jetzigen Pfarrer Christoph Heinzen gewandt. Foto: Pfarrer Christoph Heinzen schließt die Kirchentür an St. Severin auf. [broeltal.de]
„Ich bin sehr traurig“, erzählt ein älteres Gemeindemitglied. Mit vielen war der ehemalige Pfarrer eng verbunden. 16 Jahre lang war er Seelsorger in Ruppichteroth. Er Taufte, traute und beerdigte Hunderte Menschen, stand ihnen in schönen und schlimmen Momenten zur Seite. Und nun wird ihm vorgeworfen, einen Jungen missbraucht zu haben. Es ist ein Zwiespalt, der die Gläubigen aufreibt. „Denn ein Missbrauch ist aus rechtlicher und moralischer Sicht absolut nicht zu entschuldigen."
Als vor rund zwei Wochen der Geistliche, der seit 2016 im Ruhestand ist und von 1997 bis 2013 in Ruppichteroth tätig war, Suizid begann, verbreitete sich die Nachricht über den Tod schnell. Die Menschen zündeten Kerzen an, sie trauerten. Über die Hintergründe gab es jedoch nur Mutmaßungen. Das Erzbistum Köln hatte den 62-Jährigen vier Tage zuvor darüber informiert, dass er von all seinen priesterlichen Aufgaben entbunden wurde - zuletzt hatte war er Subsidiar in Neunkirchen.
Ende Dezember hatte sich ein Mann, der heute Mitte 30 ist, in Mettmann lebt und ein Familienangehöriger W.s ist, an die Interventionsstelle für Missbrauch gewandt. Er schilderte Vorfälle in den 1990er Jahren in Solingen und Wuppertal, wo der Pfarrer einst Kaplan war. Laut des Erzbistums wurden die Vorwürfe genauer untersucht und auch das mutmaßliche Opfer gehört. Anfang Februar folgte eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Bonn. Danach sollte eine Proklamandum in den Gemeinden, in denen er tätig war, vorgelesen und so über den Vorfall informiert werden. Doch der Geistliche nahm sich das Leben, bevor das geschah. Das Proklamandum wurde um eine Woche verschoben. Die Staatsanwaltschaft stellte ihre Ermittlungen ein - gegen Tote gibt es keine Strafbarkeit.
Gläubige sind geschockt
An Pfarrer Christoph Heinzen, der 2014 als Nachfolger W.s nach Ruppichteroth kam, wandten sich viele Gläubige. „Ich habe mit ganz vielen Leuten gesprochen und alle möglichen Formen der Reaktion erlebt“, erzählt er. Manche hätten die Situation gar nicht wahrhaben wollen, sie komplett verdrängt. „Andere wollten noch nicht darüber sprechen und das Geschehene erst einmal verarbeiten.“ Wiederum andere hätten großen Bedarf gehabt, das auszusprechen, was ihnen gerade durch den Kopf geht und wie sie sich fühlen. „Doch bei allen war der Schock über die Vorwürfe an die Person groß, auch bei mir. Niemand hat gesagt, dass man das schon immer gedacht hätte.“
Die Gläubigen hat das Geschehene geschockt. Und sie werfen Fragen auf. „Das Erzbistum hat dem Seelsorger Unterstützung angeboten, aber hat es sich wirklich genug gekümmert?“, formuliert es ein Kirchenmitglied. Er sorgt, sich dass es nun reihenweise Suizide von Geistlichen geben könnte. Und auch ein anderer Gläubiger beschreibt Situationen der Verzweiflung. „Der Selbstmord ist der letzte Ausweg. Welche Not muss dieser Mensch gehabt haben, so zu handeln?“ Er will für beten, nicht über ihn richten. Und er fordert von der Kirche, dass sie sich in ihren Strukturen ändern müsse, vor allem beim Zölibat. „Junge Geistliche müssen sich in ihrer Kirche wohlfühlen und dürfen sich in ihrer Not nicht an Hilflosen vergehen.“
Zweifel am Glauben
Der Missbrauchsfall sorgt auch für Zweifel. „Das, was passiert ist, ist schrecklich, und hat dafür gesorgt, dass ich an meinem Glauben zweifele. Doch durch diese Zweifel habe ich mich mehr mit meinem Glauben beschäftigt“, erzählt eine Frau. In der Geschichte der katholischen Kirche seien viele schlimme Dinge geschehen. „Aber diese Kirche ist auf Jesus gebaut, auf einem Fels, der aus Nächstenliebe besteht. Dass Menschen Fehler machen, hat nichts mit dieser Grundidee zu tun.“ Die Kirche treibe viele gute Dinge voran und sorgt dafür, dass sich diese Nächstenliebe auch noch heute in der Gesellschaft wiederfinde.
Christoph Heinzen denkt nicht, dass die Gläubigen in der Bröltalgemeinde nun in Scharen aus der Kirche austreten werden. „Sie unterscheiden zwischen dem Vorfall und der Kirche als Ganzes. Es ist eine tiefe Erschütterung, eine Krise und eine Herausforderung. Aber es ist nichts, was uns daran hindert, gläubige Christen in Ruppichteroth zu sein.“ Neben seiner persönlichen Betroffenheit habe er auch viel Unterstützung von Ehrenamtlichen erfahren, die dabei helfen, das Geschehene aufzuarbeiten und Ansprechpartner für mögliche weitere Missbrauchsopfer sind. Das Erzbistum ermutigt Zeugen, Betroffene und Opfer, die Missbrauch erlebt haben, sich zu melden.
Gesprächsforum am Freitag
Zudem wird es am kommenden Freitag in der Kirche St. Severin um 20 Uhr für Gemeindemitglieder der Pfarreien Ruppichteroth, Schönenberg und Winterscheid ein Gesprächsforum geben, an dem auch Weihbischof Ansgar Puff teilnimmt. „Die Bestürzung und Ratlosigkeit vieler führt zu verschiedensten Emotionen und Gedanken, denen die Verantwortlichen des Erzbistums Köln Raum geben wollen“, heißt es in der Ankündigung. Für die Teilnahme ist aufgrund der Corona-Regelungen eine Anmeldung erforderlich, telefonisch unter 02295/5161 oder online auf www.katholisch-im-broeltal.de.
Hilfsangebote
Das Erzbistum Köln möchte Betroffene/ und oder Zeugen von sexuellem Missbrauch und sexualisierter Gewalt ausdrücklich ermutigen und bitten, sich an diese externen Ansprechpersonen zu wenden: Petra Dropmann,01525/2825 703, petra.dropmann(at)erzbistum-koeln.de und Dr. Hans Werner Hein, 01520/1642 394, hans-werner.hein(at)erzbistum-koeln.de.
Unterstützung bekommen Betroffene auch beim Hilfetelefon sexueller Missbrauch unter 0800/22 55 530 und www.hilfeportal-missbrauch.de.
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Sie denken an Suizid, machen sich um jemanden Sorgen oder haben einen Menschen aufgrund eines Suizidtodesfalls verloren? Die Telefonseelsorge bietet Gespräche, Hilfen sowie weiterführende Informationen zur Bewältigung dieser Notsituation an unter den Telefonnummern: 0800 1110111 und 0800 1110222 sowie im Internet unter: www.telefonseelsorge.de.
Kommentare
Marianne Dieper
March 4, 2021 um 11:30 am
Was ich zur Zeit höre oder lese, trifft mich tief. wenn sich ein Erwachsener an einem Kind vergreift, muß er ganz sicher bestraft werden. es ist ein abscheuliches Verbrechen.
Aber ich habe auch erleben müssen,wie es ist als Unschuldiger verdächtigt zu werden. Mein Mann und ich hatten ein Busunternehmen und wir bedienten hauptsächlich Kölner Schulen. Und dann kam der Tag, der vieles veränderte. Ein Junge wurde sexuell belästigt. Anhand eines gemalten Bildes des Jungen wurde mein Mann verdächtigt. Es folgte ein Zeit, die ich nicht in Worten fassen kann.
Nach schrecklichen 3 Jahren hat man dann einen Verwandten des Jungen festgenommen, der die Tat dann auch gestand. Ich möchte mit meinen Zeilen nur deutlich machen, einen Menschen zu beschuldigen ist so einfach, aber was ist, wenn es nicht wahr ist? Ich kann vielleicht den Pfarrer verstehen, denn wenn mein Mann nicht die Unterstützung von uns, seiner Familie nicht gehabt hätte, ich glaube, er hätte das selbe getan.
Renate Lamoth
March 8, 2021 um 7:18 pm
Man steht den unberechtigten Anschuldigungen ohnmächtig und hilflos gegenüber, und nichts bringt das je wieder in Ordnung.