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Aus der Wilhelmstraße ins Konzentrationslager

Von Nicolas Ottersbach | | Magazin

In der Nacht zum 10. November 1938 zündeten Nationalsozialisten die Synagoge in Ruppichteroth an. In den folgenden Jahren wurden viele Mitbüger in Konzentrationslager ermordet, einige schafften die Flucht. Ein Film erzählt nun von dem Besuch der Nachfahren der Familie Gärtner. Fotos: Zum Gedenken an die Ermordeten und Vertriebenen wurden Fotos aufgestellt. Der Besuch der Familie Gartner in Ruppichteroth 2019 [Daniel Prior / Nicolas Ottersbach]

Normalerweise zieht am Abend des 9. November ein stiller Tross durch Ruppichteroth. Jedes Jahr gedenken die Menschen so an die Opfer des Nationalsozialismus. Dieser Schweigemarsch wird wegen der Corona-Pandemie nun erstmals ausfallen. "Die Erinnerung an die Reichspogromnacht ist ein wichtiges Zeichen wider des Vergessens und der Gleichgültigkeit, ist Erinnerung an die Opfer, an zerstörtes Leben und für immer vernichtete Weltgüter", sagt Bürgermeister Mario Loskill. Aber ein solches Gedenken sei keine Momentaufnahme. "Gedenken muss lebendig sein. Die Begegnung und der Umgang mit den Geschehnissen der Vergangenheit muss in unseren Alltag einfließen."

Steine zum Stolpern

Im Alltag sind die Gräueltaten, die sich inmitten des beschaulichen Dorfes abgespielt haben, erst seit August 2019 sichtbar. Auf Initiative von zwei Abschlussklassen der Sekundarschule Ruppichteroth, die das Konzentrationslager Sachsenhausen besucht und Geld für zwei Stolpersteine gesammelt hatten, sowie des Heimatforschers Wolfgang Eilmes verlegte der Künstler Gunter Demnig 13 seiner mittlerweile europaweit mehr als 70.000 Stolpersteine in Ruppichteroth. Dort, wo einst die jüdischen Familien lebten, die vertrieben oder in Konzentrationslager deportiert und ermordet wurden.

Wolfgang Eilmes hat die Geschichte der Ruppichteroth Juden in seinem Bilderbuch Ruppichteroth aufgearbeitet.

Demnigs Aktion hatte Anfang 1995 in Köln mit Steinen für deportierte Sinti und Roma begonnen. Ursprünglich hatte er die Tafeln an Häuserwände setzen wollen, das sei ihm wegen zu erwartender Hausbesitzer-Ablehnung ausgeredet worden. Die Steine am Boden waren demnach eine Notlösung. Inspiriert hätten ihn auch Grabplatten im Petersdom, über die Tausende blankpolierend hinweglaufen. Beschmierungs-Taten habe Demnig kaum erlebt. In solchen Fällen säuberten oft Hausbewohner die attackierten Steine. Es geht aber auch anders: Vielerorts polieren Freiwillige die Stolpersteine auf.

Waren die Stolpersteine aus Messing an den ersten Tagen noch blank, haben sie mittlerweile einige Kratzer. Aber sie werden immer noch beachtet. Ganz besonders an diesem 9. November: Eilmes stellt dann für 24 Stunden die Fotos der Familien aus, die einst in den Häusern lebten. So wie im August 2019, als die Steine verlegt wurden.

Bewegender Besuch aus den USA

Zu Gast waren damals auch Nachfahren der Familie Gärtner, die beinahe völlig ausgelöscht wurde. Gustav und Mathilde Gärtner lebten in der Wilhelmstraße 17. Er starb 1942 im KZ Theresienstadt, sie zwei Jahre später im KZ Auschwitz. Fünf Familienmitglieder konnten sich in die USA retten: Irene, Käthe, Herbert, Werner und Ilse Gärtner. Für die Enkelin von Gustav und Mathilde Gärtner, Susan, und ihren Partner Rich aus Los Angeles sowie Enkel Ron Gartner mit seinen drei Söhnen aus Schweden, war der Besuch in Ruppichteroth sehr bewegend. „Es ist so ein nettes Örtchen. Unglaublich, dass von hier so viel Grausamkeit ausgegangen ist“, sagte Susan Gartner.

Das Video ist auf Englisch, allerdings lassen sich durch eine Youtube-Funktion (Symbol rechts neben dem Zahnrad) deutsche Untertitel einblenden.

Urenkel dreht Videoreportage

Den Besuch hat Urenkel Michael Gartner in einer viertelstündigen Videoreportage festgehalten. Zur Pogromnacht hat er das Video veröffentlicht. „Als ich Ruppichteroth besuchte, wusste ich nicht, was mich dort erwartet, wie ich mich fühlen würde“, sagt Gartner. Für ihn stand nur fest: Er ist ein Filmemacher und konnte diese einmalige Chance, seine Familiengeschichte zu dokumentieren, nicht verstreichen lassen.

„Momenten fühlt es sich so an, als würden die dunklen, rassistischen Kräfte in der Welt stärker werden. Und ich habe die Hoffnung, dass unsere Geschichte die Menschen daran erinnern könnte, was einst passiert ist“, sagt Gartner. Das sei auch der Grund, warum er den Film gedreht hat, obwohl es eine sehr persönliche Geschichte sei. Dabei hat er immer die Worte seiner Tante Susan Gartner im Kopf: „Diese eine Geschichte, das Schicksal meiner Großeltern, macht alles so real. Diese Geschichte hat verdient, erzählt und verbreitet zu werden.“

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