Wenn in der Nutscheid bald Windräder mit mehr als 260 Metern Gesamthöhe entstehen, steht mehr auf dem Spiel als nur ein paar neue Silhouetten am Horizont. Viele Anwohner fürchten um ihren Blick, ihre Gesundheit und den Wert ihres Eigentums. In den Kommentarspalten auf broeltal.de prallen Hoffnungen und Ängste aufeinander: von Energieunabhängigkeit und Klimaschutz bis zu Lärm, Schatten und Waldrodung. Doch was davon stimmt tatsächlich? Ein Faktencheck. Foto: Windräder im rheinland-pfälzischen Mörsdorf [Nicolas Ottersbach]
„Mein Haus ist bald nur noch die Hälfte wert“
Solche Sätze liest man häufig, wenn Windräder in Sichtweite kommen. Dass Immobilien an Wert verlieren können, ist richtig – aber der Absturz ist meist weit geringer, als viele glauben. Eine groß angelegte Untersuchung des RWI (Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung) wertete rund drei Millionen Immobilieninserate in Deutschland aus. Das Ergebnis: Häuser innerhalb eines Kilometers um eine Windenergieanlage verloren im Durchschnitt etwa sieben Prozent an Wert. Nur in Einzelfällen, bei besonders exponierter Lage oder Sichtbezug, lagen die Verluste höher. Von einer Halbierung des Werts, wie sie in manchen Kommentaren befürchtet wird, findet sich in keiner wissenschaftlichen Studie eine Spur (Quelle: RWI Ruhr Economic Papers Nr. 791, 2018).
„Die neuen, höheren Anlagen sind viel lauter. 1000 Meter Abstand reichen nicht mehr“
Größer heißt nicht automatisch lauter. Entscheidend sind die zulässigen Schallpegel, nicht die Bauhöhe. Die „Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm“ (TA Lärm) schreibt für Wohngebiete nachts in der Regel 40 Dezibel vor – gemessen direkt am Haus. Diese Werte gelten kumulativ, also für alle Anlagen gemeinsam. Nur wenn dieser Grenzwert eingehalten wird, darf eine Genehmigung erteilt werden.
In der Praxis bedeutet das: Schon in der Planungsphase werden umfangreiche Schallgutachten erstellt, die auch Windrichtung, Topografie und Witterung berücksichtigen. Falls Berechnungen eine Überschreitung zeigen, müssen Anlagen gedrosselt oder zu bestimmten Zeiten abgeschaltet werden. Neue Generationen moderner Windräder sind zudem mit leistungsangepassten Betriebsmodi ausgestattet, die in schwachwindigen Phasen deutlich leiser laufen. Das Umweltbundesamt bestätigt: „Bei Einhaltung der TA-Lärm-Werte sind nach derzeitigem wissenschaftlichen Kenntnisstand keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu erwarten“ (UBA-Faktenblatt 2023).
„Der Abstand wurde auf das Doppelte der Höhe verkleinert“
Diese Behauptung kursiert oft, ist aber nicht korrekt. Eine feste Mindestabstandsregel von „zwei Mal der Anlagenhöhe“ gibt es in Nordrhein-Westfalen nicht. Der frühere politische Vorschlag von 1000 Metern gilt seit 2023 nicht mehr. Heute wird jeder Standort individuell geprüft. Auf Grundlage von Lärm-, Schatten- und Artenschutzgutachten. Im geplanten Windpark Eitorf/Ruppichteroth liegen die Abstände laut Unterlagen zwischen 600 und 1000 Metern zu Wohnhäusern. Das ist rechtlich zulässig, solange die Immissionswerte eingehalten werden.
In Bayern und anderen Bundesländern gibt es teils starre Abstände, in NRW jedoch ein „Abwägungsprinzip“. Die zuständigen Behörden orientieren sich an konkreten Umwelt- und Gesundheitsgrenzwerten, nicht an pauschalen Zahlen (vgl. Landesplanungsgesetz NRW, § 36a; Windenergieflächenbedarfsgesetz § 6).
„Das Leben im Schlagschatten ist unerträglich“
Das Wechselspiel aus Sonne, Rotor und Schatten kann lästig sein, vor allem in klaren Wintermonaten. Um solche Belästigungen zu vermeiden, gelten bundesweit klare Grenzen: höchstens 30 Stunden pro Jahr und maximal 30 Minuten am Tag darf ein Haus im „bewegten Schatten“ einer Anlage liegen. Sobald diese Schwelle erreicht ist, muss die Anlage automatisch abgeschaltet werden. Das geschieht über Sensoren oder astronomische Zeitsteuerungen. Die Landesanstalt für Immissionsschutz NRW schreibt: „Die Einhaltung dieser Werte ist Stand der Technik und wird bei jeder Genehmigung überwacht.“ Damit ist der oft genannte Dauer-Schlagschatten kein realistisches Szenario.
„Infraschall macht krank“
Kaum ein Thema erhitzt die Gemüter so sehr wie das unsichtbare, unhörbare Zittern der Luft. Infraschall ist Schall mit Frequenzen unterhalb von 20 Hertz, also unterhalb der menschlichen Hörgrenze. Windenergieanlagen erzeugen ihn, ebenso wie Autos, Heizungen oder die Brandung an der Nordsee. Das Bundesumweltministerium, das Landeszentrum Gesundheit NRW und das Bayerische Landesamt für Umwelt haben zahlreiche Studien ausgewertet.
Ihr Fazit: Bei Abständen, wie sie in Deutschland üblich sind, liegt der Infraschall von Windrädern deutlich unterhalb der Wahrnehmungsschwelle. Kein wissenschaftlicher Nachweis belegt bislang eine direkte gesundheitliche Schädigung durch Infraschall von Windkraftanlagen (BMUV-Faktencheck 2022). Was allerdings nachweislich belastend sein kann, sind subjektive Wahrnehmungen, also der Stress, der aus der Erwartung einer Störung entsteht. Deshalb empfehlen Fachleute frühzeitige Information und Bürgerdialoge.
„Die Feuerwehr kann Windräder im Wald nicht löschen“
Die Sorge vor brennenden Windrädern im Wald klingt dramatisch und ist nicht völlig unbegründet. Tatsächlich kann eine Feuerwehr in über 150 Metern Höhe kein Feuer direkt löschen. Die Standardtaktik aus anderen Bereichen Deutschlands lautet: Sicherheitsradius von etwa 500 Metern, kontrolliertes Abbrennen der Gondel und Schutz der Umgebung vor Funkenflug.
Brände an Windrädern sind aber extrem selten. Laut Bundesverband WindEnergie liegt die Zahl bei etwa einem Ereignis pro 10.000 Anlagen und Jahr. Das entspricht 0,01 Prozent. Im Genehmigungsverfahren müssen Betreiber ein Brandschutzkonzept vorlegen, mit Zufahrtswegen, Löschwasserpunkten und Abstimmung mit der örtlichen Feuerwehr. Auch die Feuerwehren in Eitorf und Ruppichteroth sind in diese Planung eingebunden. „Das Risiko ist vorhanden, aber beherrschbar, wenn entsprechende Vorkehrungen bestehen“, sagt ein Sprecher des Deutschen Feuerwehrverbands (DFV-Positionspapier 2023). So müsste in der Nutscheid beispielsweise ausreichend Löschwasser vorgehalten werden. Der Ruppichterother Gemeinderat, die Verwaltung und die Feuerwehr weisen auf diese Probleme hin.
„Für die Windräder wird der Wald vernichtet“
Richtig ist, dass Windparks im Wald Flächen beanspruchen. Falsch ist, dass sie großflächig „Wald vernichten“. Nach Angaben des Bundesverbands WindEnergie liegt der dauerhafte Flächenverbrauch pro Anlage im Wald im Durchschnitt bei rund 0,5 Hektar, also etwa einem halben Fußballfeld. Hinzu kommen Zufahrten und Kranstellflächen, die nach der Bauphase in der Regel wieder rekultiviert werden. Zudem müssen Betreiber Ausgleichsflächen bereitstellen, häufig durch Aufforstung oder Waldumbau mit klimaresistenten Baumarten. In der Nutscheid sollen zudem Flächen genutzt werden, die durch den Borkenkäfer und Sturmschäden ohnehin brachliegen.
In NRW sind derzeit gut 240 Windräder auf Forstflächen installiert, bei einem Gesamtbestand von mehr als 4000 Anlagen. Jede einzelne unterliegt einer naturschutzrechtlichen Prüfung, bei der auch Brutvögel und Fledermäuse berücksichtigt werden (Landesbetrieb Wald und Holz NRW, Stand 2025).
„Die Anlagen töten massenhaft Vögel und Fledermäuse“
Dass Windräder Tiere gefährden können, ist unbestritten. Die entscheidende Frage lautet: in welchem Umfang? Laut Bundesamt für Naturschutz (BfN) sterben jährlich in Deutschland schätzungsweise 100.000 bis 250.000 Vögel an Windenergieanlagen. Eine Zahl, die hoch klingt, aber im Vergleich relativiert werden muss. Durch Glasscheiben verunglücken jährlich 100- bis 150-mal so viele Vögel, durch Verkehr sogar mehrere Millionen (BfN-Hintergrundpapier 2022).
Das mindert aber die Verantwortung nicht. Deshalb enthalten Genehmigungen heute Abschaltzeiten während der Zug- und Brutzeiten, vor allem für Fledermäuse und Greifvögel. Auch die Standorte werden nach dem sogenannten Helgoländer Papier geprüft, das klare Mindestabstände zu Horsten und Lebensräumen vorgibt.
„Das Verfahren läuft ohne Öffentlichkeit – das ist nicht rechtens“
Tatsächlich gibt es bei der Beteiligung Unterschiede. Für die acht Anlagen, die innerhalb der sogenannten Entwurfsflächen des Regionalplans liegen, gilt das vereinfachte Verfahren nach Paragraf 6 Windenergieflächenbedarfsgesetz (WindBG). Es sieht keine gesonderte Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) und keine öffentliche Auslegung vor, weil die übergeordnete Umweltprüfung bereits auf Regionalplan-Ebene erfolgt ist.
Für die fünf Anlagen außerhalb dieser Flächen dagegen ist eine förmliche UVP mit Öffentlichkeitsbeteiligung vorgeschrieben. Der Antragsteller hat sie laut Kreis freiwillig beantragt. Damit sind die betroffenen Bürger, zumindest in diesem Teilverfahren, weiterhin beteiligt (Rhein-Sieg-Kreis, Stand Oktober 2025). Rechtlich ist dieses Nebeneinander ungewöhnlich, aber zulässig. Kritiker fordern, dass auch vereinfachte Verfahren mindestens eine Informationsveranstaltung enthalten sollten, um Akzeptanz zu fördern. Ruppichteroth Gemeinderat und Verwaltung fordern in einer Stellungnahme mehr Transparenz.
„PFAS aus Rotorblättern gefährden die Umwelt“
PFAS, sogenannte „Ewigkeitschemikalien“, sind weltweit in vielen Industrieprodukten im Einsatz, auch in Lacken und Kunstharzen. Einige Rotorblätter können Beschichtungen enthalten, die solche Fluorverbindungen nutzen. Bislang gibt es jedoch keine wissenschaftlichen Belege, dass PFAS aus Windkraftanlagen in relevanten Mengen in die Umgebung gelangen. Die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) arbeitet derzeit an einer EU-weiten Beschränkung solcher Stoffe. Die Windindustrie untersucht Alternativen und entwickelt Recyclingverfahren für Rotorblätter (ECHA-Positionspapier 2024). Fazit: Das Thema verdient Aufmerksamkeit, konkrete Umweltschäden durch PFAS aus Windrädern sind bisher nicht nachgewiesen.
„Durch die Erosion von Rotorblättern verteilen sich Feinstaub und Schadstoffe in der Umwelt“
Diese These hält einer wissenschaftlichen Überprüfung kaum stand. Zwar lösen sich an den Vorderkanten von Windradflügeln durch Regen und Staub winzige Mengen Material, sogenannter Mikroabrieb, doch handelt es sich dabei nicht um klassischen Feinstaub, sondern um Partikel aus Kunststoffharz und Glasfasern. Eine Studie der Technischen Universität Dänemark (Energies, 2024) schätzt den jährlichen Materialabtrag auf 8 bis 50 Gramm pro Rotorblatt, bei Offshore-Anlagen bis zu 500 Gramm.
Selbst wenn man diese Werte hochrechnet, bleibt der Anteil am gesamten Feinstaubaufkommen verschwindend gering: Der Verkehr verursacht in Deutschland laut Umweltbundesamt jährlich rund 18.000 Tonnen Reifen- und Bremsabrieb, Holz- und Kohleöfen rund 20.000 Tonnen Feinstaub (PM₂,₅). Der Abrieb von Windrädern liegt damit mehr als eine Million Mal niedriger. Auch von gefährlichen Schadstoffen ist keine Rede. Die Clean Energy Association (2023) betont, Rotorblatt-Beschichtungen seien „nicht toxisch und setzten keine relevanten Mengen an BPA oder Mikroplastik frei“.
“Von den Rotorblätter fallen giftige Glasfasterstücke herunter”
Belege dafür, dass dies im Normalbetrieb von Windenergieanlagen geschieht, gibt es nicht. Rotorblätter bestehen aus glasfaser- oder kohlefaserverstärkten Kunststoffen, sogenannten GFK- oder CFK-Verbundwerkstoffen. Diese Materialien sind stabil und dafür ausgelegt, über Jahrzehnte hohen Belastungen standzuhalten.
Nach Angaben der Fraunhofer-Gesellschaft und der Fachagentur Wind und Solar kommt es nur bei Unfällen oder strukturellen Schäden, etwa infolge von Materialermüdung, Blitzschlag oder extremer Windbelastung, zu Brüchen, bei denen Glasfasern freigesetzt werden können. Ein solcher Fall ereignete sich 2024 vor der Küste von Massachusetts, als bei einer Offshore-Anlage des Windparks Vineyard Wind ein Rotorblatt brach. Ähnliche Vorfälle wurden auch an einzelnen Standorten in Dänemark und Estland untersucht, wo Bruchstücke auf umliegende Flächen geweht wurden (Associated Press, Reuters, 2024; Umweltbericht „Assessing the Environmental Impact of Wind Turbine Blade Debris“, 2022). Für Deutschland liegen dagegen keine dokumentierten Fälle vor, in denen sich Glasfaserteile im regulären Betrieb oder in größerem Umfang auf Feldern verteilt hätten. Auch Umwelt- und Landwirtschaftsbehörden verzeichnen bislang keine registrierten Schadensereignisse dieser Art.
Fachleute schließen punktuelle Materialerosion oder Mikropartikel-Abrieb an den Vorderkanten zwar nicht aus, halten diesen jedoch für minimal und umweltchemisch unauffällig. Das eigentliche Umweltproblem entsteht am Ende der Lebensdauer: Die glasfaserverstärkten Rotorblätter sind schwer zu recyceln. Deshalb wird in der Branche an neuen recycelbaren Harzsystemen und alternativen Materialien gearbeitet.






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